Ein Interview, das zeigt, wie wichtig psychologische Beratung für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten ist | KSL.NRW Direkt zum Inhalt

Ein Interview, das zeigt, wie wichtig psychologische Beratung für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten ist

Ein Portrait von Susanne Schulte-Mausbeck und Ellen Dieball auf bunten Kacheln des KSL-Designs

Fensterblick Düsseldorf

„Menschen ohne kognitive Beeinträchtigung können oftmals für sich selber Wege finden, Probleme zu meistern. Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten benötigen im therapeutischen Bereich viel mehr fachliche Unterstützung. Aufgrund ihrer Einschränkungen können sie sich oftmals auch nicht ausreichend für ihre Bedürfnisse selbst einsetzen."

von Susanne Schulte-Mausbeck / Interview / KSL hinterfragt

Susanne Schulte-Mausbeck: Ellen, du bist im KSL.Düsseldorf die Expertin für das Thema Psychologische Beratung für Menschen mit Beeinträchtigungen – speziell für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten. Wie bist du dazu gekommen, dich auf dieses Thema zu spezialisieren?

Ellen Dieball: Ich habe nach meinem Pädagogik-Studium in einer besonderen Wohnform mit autistischen Erwachsenen in Wuppertal gearbeitet und dann doch relativ schnell gemerkt, dass mir die therapeutische Arbeit mehr liegt als die pädagogische Arbeit. Daher habe ich drei verschiedene therapeutische Zusatzausbildungen absolviert und meinen Arbeitsplatz gewechselt. Ich arbeite mit einem Stellenanteil als Psychotherapeutin in der Färberei in Wuppertal und biete dort Einzeltherapie für erwachsene Menschen speziell mit anderen Lernmöglichkeiten an. Mit dem anderen Stellenanteil arbeite ich im KSL.Düsseldorf. Unter anderem ist dort die psychotherapeutische Versorgungssituation für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten auf struktureller Ebene mein Arbeitsschwerpunkt.

Susanne Schulte-Mausbeck: Was reizt dich an deiner Aufgabe?

Ellen Dieball: Bei der Einzelberatung bzw. Einzeltherapie finden eine sehr intensive Begegnung und ein sehr intensiver Prozess statt. Das macht mir sehr viel Spaß. Ich finde dies sehr bereichernd und sehr lebendig. Und es ist für mich eine ganz tolle Form, um Menschen zu unterstützen, Veränderungen und auch Heilung zu ermöglichen. Das finde ich total spannend. Das ist der eine Teil meiner Arbeit. Der andere Teil ist die Arbeit im KSL.Düsseldorf. Da reizt es mich, auf einer sozialpolitischen Ebene arbeiten zu können. Die therapeutische Versorgungssituation ist für Menschen mit Behinderung, insbesondere für Menschen mit besonderen Lernmöglichkeiten, desolat. Im KSL erörtern wir, was wir – auch gemeinsam mit dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen und Netzwerkpartnern – tun können, um diese Versorgungssituation deutlich zu verbessern. Ich hoffe aber auch, Therapeut*innen in Beratungsstellen und in niedergelassenen Praxen für diese Arbeit motivieren und begeistern zu können.

Susanne Schulte-Mausbeck: Warum ist die psychologische Beratung für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten so wichtig?

Ellen Dieball: Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten sind drei- bis viermal häufiger von psychischen Erkrankungen betroffen als Menschen ohne kognitive Einschränkungen. Sie benötigen besondere Unterstützung, da sie aufgrund ihrer Behinderung oft nicht genügend eigene Ressourcen haben und diese auch nicht entwickeln können, um mit schwierigen Situationen umzugehen. Menschen ohne kognitive Beeinträchtigung können oftmals für sich selber Wege finden, Probleme zu meistern. Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten benötigen im therapeutischen Bereich viel mehr fachliche Unterstützung. Aufgrund ihrer Einschränkungen können sie sich oftmals auch nicht ausreichend für ihre Bedürfnisse selbst einsetzen.

Susanne Schulte-Mausbeck: Was unterscheidet die psychologische Beratung für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten von der psychologischen Beratung für Menschen ohne kognitive Einschränkungen?

Ellen Dieball: Wichtig ist, dass Therapeut*innen den Lebenshintergrund, die Biografie von Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten kennen. Also zum Beispiel, dass sie in andere Schulen gegangen sind, dass sie andere Arbeitsplätze haben, in der Werkstatt arbeiten, dass sie in besonderen Wohnformen, im Betreuten Wohnen leben. Aus den anderen Lebenszusammenhängen entstehen auch ganz extreme Abhängigkeitsverhältnisse – sowohl von den Eltern als auch von den Betreuer*innen. Auch das ist wichtig zu wissen, um auf Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten auch anders eingehen zu können.

Im Gespräch müssen Therapeut*innen in der Regel einfachere, leichtere, verständlichere Sprache benutzen. Vielleicht auch öfter mal wiederholen und öfter mal erklären. Schwierige Worte möglichst vermeiden. Wichtig ist auch, nicht nur sprachlich, sondern auch mit anderen kreativen Therapie-Methoden zu arbeiten, zum Beispiel Maltherapie, Musiktherapie, Tanztherapie. Das sind auch Möglichkeiten, Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten auf einer anderen Ebene anzusprechen. Manchmal ist es auch gut, ein langsameres Tempo zu haben. Wenn die eine Sitzung nicht ausreicht, in der nächsten Sitzung langsam am Thema weiterarbeiten. Das sind sicherlich Unterschiede, die wichtig sind, zu beachten und auch immer wieder nachzufragen, ob der Klient beziehungsweise die Klientin das verstanden hat. Für viele Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten ist es auch nicht immer so einfach, bestimmte Prozesse oder Zusammenhänge zu verstehen.

Susanne Schulte-Mausbeck: Psychologische Beratung für Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten wird kaum angeboten. Woran liegt das deiner Meinung nach?

Ellen Dieball: Das hat unterschiedliche Ursachen: Im Studium oder anderen Therapie-Ausbildungen wird das Thema gar nicht oder viel zu wenig berücksichtigt.

Viele Therapeut*innen oder auch Berater*innen, die in Beratungsstellen tätig sind, haben Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten nicht als Zielgruppe. Teilweise fehlt es ihnen etwas an Bereitschaft oder Offenheit für diese Zielgruppe. Teilweise trauen sie sich die Arbeit aber auch oft nicht zu, da sie wenig Erfahrung mit der Zielgruppe haben.

Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen sind zum Teil schon offen gegenüber Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten, haben aber selber keine weiteren Kapazitäten. Eine zusätzliche Zielgruppe müsste refinanziert werden, das heißt, es müsste von politischer Seite Geld in die Hand genommen werden, um die vorhandenen Beratungs- und Therapieangebote auszuweiten und dort zusätzliches Fachpersonal einzustellen, das speziell ausgebildet ist.

Susanne Schulte-Mausbeck: Vielen Dank für das Interview.


Weitere Informationen

Weitere Informationen zum Themenschwerpunkt Gesundheit / Psychologische Beratung des KSL.Düsseldorf hält das Team auf der Projekt-Webseite vor.

Einen Film zur psychologischen Beratung hat das KSL.Düsseldorf auf diesen Seiten vorbereitet:

Ohne Untertitel und Gebärdensprache:

Mit Untertitel:

Mit Gebärdensprache:

Mit Untertitel und Gebärdensprache:


September 2022