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Ein Plädoyer, das zeigt, warum eine diskriminierungsfreie Sprache wichtig ist!

Portrait von Kristin Reker vor Kacheln im Fensterblick des MSI NRW

Fensterblick MSi-NRW

„Es ist jedoch für die Bewusstseinsbildung von elementarer Bedeutung, sprachlich nicht nur mitgemeint, sondern gezielt mitadressiert zu werden. Das trifft nicht nur auf Frauen zu, sondern auf alle Gruppierungen und Minderheiten,
wie etwa auch Menschen mit Behinderungen.“

von Kristin Reker / Plädoyer / KSL hinterfragt

Die Kompetenzzentren setzen sich für Chancengleichheit und Diversity ein und achten daher auch besonders auf den sensiblen Umgang mit Sprache. Eine genderneutrale und diskriminierungsfreie Sprache zu verwenden, ist für uns daher nicht nur eine Pflichtübung, sondern im Jahr 2022 auch eine Selbstverständlichkeit!

Den aktuellen Fensterblick widme ich – stellvertretend für das KSL.MSi NRW – daher dem Thema „Sensible Sprache“. Es folgen die etwas genauer beleuchteten. Hintergründe und Zusammenhänge. Oft wird gefragt: Warum ist der sensible Umgang mit Sprache eigentlich so wichtig? Können alternative Formulierungen tatsächlich einen Unterschied machen? Wird dabei nicht allzu oft übertrieben? 

Mitadressiert zu sein muss sprachlich ausgedrückt sein

Zahlreiche Studien in verschiedenen Sprachen haben in den vergangenen 40 Jahren immer wieder gezeigt, dass das generische Maskulinum, also die Verwendung männlicher Begriffe auf geschlechtsneutrale Weise, tatsächlich von den Lesenden nicht generisch interpretiert wird. Vielmehr wird es in der überwältigenden Mehrheit der Fälle als männlich angesehen. Frauen waren zwar mit-gemeint, blieben aber ansonsten im öffentlichen Bewusstsein unsichtbar.

Es ist jedoch für die Bewusstseinsbildung von elementarer Bedeutung, sprachlich nicht nur mitgemeint, sondern gezielt mitadressiert zu werden. Das trifft nicht nur auf Frauen zu, sondern auf alle Gruppierungen und Minderheiten, wie etwa auch Menschen mit Behinderungen. Durch konkrete Bezeichnungen und Benennungen werden auch diese Minderheiten greif- und sichtbar und bekommen eine eigene Stimme.

Sprache als Machtmittel kann diskriminieren oder inkludieren

Sprache ist das wichtigste und älteste Kommunikationsmittel der Menschheit. Mit Sprache gelingt es uns, Begriffe und Definitionen, Erlebnisse und Gedanken, Ergebnisse usw. zu formulieren sowie Normen und Regeln auszubilden. Sprache kann also ein sehr mächtiges Werkzeug sein. Sprache kann beflügeln, ermuntern und befähigen. Auf der anderen Seite kann Sprache aber auch Teile der Gesellschaft diskriminieren, ausgrenzen und abwerten, wie etwa bei Beleidigungen oder Bezeichnungen, die als herabwürdigend aufgefasst werden. Dann sollte der Sprachgebrauch hinterfragt werden.

Ein kluges Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein aus dem 20. Jahrhundert macht auf einfache und schlichte Weise sehr deutlich, wie groß der unmittelbare Zusammenhang ist zwischen dem Gebrauch von Sprache und der Konzeption von „Welt“.

„Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt."

Ludwig Wittgenstein

Mehrere Sprachen zu beherrschen oder über einen großen, differenzierten Wortschatz zu verfügen kann den eigenen, gedanklichen Horizont stark erweitern. Alles was der Mensch dagegen nicht genauer bezeichnet oder nicht bezeichnen kann, darüber wird folgerichtig auch weniger bis gar nicht gesprochen oder nachgedacht.

Eine bewusst genderneutrale und diskriminierungsfreie Sprache kann langfristig dazu führen, dass unsere Wahrnehmung und Auffassung von der Welt sich zum Positiven hin verändert. Sie wird vielfältiger, bunter, inklusiver! Wer einmal damit anfängt, sich bewusst und sensibel auszudrücken, wird schnell feststellen: Gut gemacht und smart eingesetzt stört eine diskriminierungsfreie Sprache den Lesefluss nicht, sondern bereichert Texte und Beiträge sogar.

Leider werden durch die Allgegenwärtigkeit von Sprache in den Medien häufig noch alte Redewendungen und Ausdrücke genutzt und somit längst überholte Klischees zementiert, und das vor einem großen Publikum. Klischees haben leider den Nachteil, dass sie sich oft unbewusst im öffentlichen Bewusstsein festsetzen und immer wieder reproduziert werden. Und zwar hartnäckig.

Im Zusammenhang mit Behinderung liest man z.B. immer wieder klischeehafte Formulierungen wie:

  • „Tobias ist an seinen Rollstuhl gefesselt.“
  • „Sabine ist taubstumm und benutzt die Zeichensprache“.
  • „Merve leidet am Down-Syndrom.“

Solche Formulierungen sind jedoch diskriminierend. Sie betonen das jeweilige Defizit. Das Abweichen von der Norm wird in jedem einzelnen dieser Sätze als etwas Negatives portraitiert und zementiert. Die „Leidmedien e.V.“ rund um den Behinderten-Aktivisten Raúl Krauthausen haben dazu eine sehr hilfreiche Handreichung zusammengestellt. Die aufgezeigten Alternativlösungen machen den sprachlichen Unterschied sofort deutlich und sensibilisieren im Umgang mit gängigen Formulierungen und Botschaften!

Für die oben genannten Sätze gibt es z.B. folgende Alternativen:

  • „Tobias ist mit seinem Rollstuhl unterwegs.“
  • „Sabine ist gehörlos und kommuniziert in Gebärdensprache.“
  • „Merve hat das Down-Syndrom.“

Kleine Unterschiede – und doch können sie eine große Wirkung entfalten! Durch die alternativen, diskriminierungsfreien Formulierungen wird den drei genannten Personen ein selbstbestimmtes Leben zugestanden, frei von jeder Bewertung.

Warum sagt man eigentlich nicht mehr „taubstumm“?

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt das Wort „taubstumm“ als veraltet und wird von gehörlosen Menschen als diskriminierend empfunden. Genauso wie auch das einst gängige Wort „Krüppel“ für Menschen mit Behinderungen heute als absolutes No-Go gewertet wird, sollte auch das Wort „taubstumm“ nicht mehr benutzt werden. Die gängigen Begriffe sind „taub“ oder „gehörlos“. Der Begriff „Taubstumm“ ist geprägt von der historischen Unterdrückung und Diskriminierung Gehörloser und kann auch als Ausdruck einer audistischen Weltsicht verstanden werden. Aus der Wissenschaft von der Herkunft und Geschichte der Wörter und ihrer Bedeutungen gibt es bei der Entstehung der Begriffe „dumm“ und „taub" zwar einen Zusammenhang, der immer wieder für Missverständnisse sorgt. Die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ist jedoch eine vollwertige Sprache, die in Deutschland seit 2002 als eigenständige Sprache anerkannt ist. Menschen, die in Gebärdensprache kommunizieren, sind also weder dumm noch stumm!

Oft wird „Gebärdensprache“ synonym mit „Zeichensprache“ verwendet und verwechselt. Die beiden Begriffe stehen jedoch für grundverschiedene Dinge. Unter Zeichensprache versteht man z.B. Verkehrszeichen oder die Unterwasserzeichen von Tauchern. Eine Zeichensprache ist keine vollwertige Sprache, sondern besteht nur aus einzelnen Symbolen.

Wie in der Lautsprache gibt es auch in der Deutschen Gebärdensprache sprachliche und inhaltliche Veränderungen, die sich im Laufe der Zeit entwickelt und etabliert haben. Auch in DGS wird darauf geachtet, für bestimmte Begriffe moderne und neutrale Gebärden zu finden. Überzeugende und visuell angenehme Gebärden setzen sich im Laufe der Zeit durch, genau wie phonetische Wörter in der Lautsprache auch! Wenn Sie mehr dazu wissen möchten, dann schauen Sie sich gerne unser DGS-Video an!

Es zeigt die spannende Veränderung des Begriffes „Behinderung“ im Laufe der Zeit. Es gibt mittlerweile eine neutrale Gebärde für den Begriff „Behinderung“, die alle Behinderungsformen einschließt. Diese Gebärde ist inklusiv, neutral und frei von Diskriminierung. Passend zum Protesttag von Menschen mit Behinderungen möchten wir diese Gebärde gerne einer größeren, breiteren Öffentlichkeit bekannt machen. Gerne weiterteilen und weitergebärden! Wir vom KSL-MSi-NRW freuen uns darüber!


 

Eine Grafik mit Stilelementen des KSL Arnsberg

Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben für den Regierungsbezirk Arnsberg
c/o MOBILE – Selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V.

Märkische Straße 239 a
44141 Dortmund

Telefon: 0231 / 912 83 75
Fax:: 0231 / 9128377

E-Mail: info@ksl-arnsberg.de

Weitere Informationen

  1. Eine Übersicht neutraler und diskriminierungsfreier Formulierungen hat das Team der SOZAILHELDEN e.V. erstellt: https://leidmedien.de/tipps-fuer-medien/
  2. Das Magazin „fluter“ der Bundeszentrale für politische Bildung hat im Podcast „Kleine Pause“ im Gespräch mit dem Duden-Verlag erfahren, warum er den Begriff „Taubstumm“ mittlerweile als veraltet bezeichnet und stattdessen „Gehörlos“ nutzt: https://open.spotify.com/episode/4CS2Ws3vepE2F1Yy6M0RbX Der Podcast ist nicht barrierefrei.

 


Mai 2022