Ein Porträt, das zeigt, wie Inklusion durch Kultur gelingen kann | KSL.NRW Direkt zum Inhalt

Ein Porträt, das zeigt, wie Inklusion durch Kultur gelingen kann

Iris Colsmann vom KSL.Düsseldorf auf bunten Kacheln im Fensterblick Düsseldorf

Fensterblick Düsseldorf

„Es gibt Ideen für (fast) alles, Geld gibt es im Prinzip auch – es ist die Trägheit der Herzen, die dazu führt, dass der Prozess der Inklusion so langsam geht.“

von Iris Colsman / Porträt / KSL entwickelt

2013 übernahm ich als Geschäftsführerin die Verantwortung für die Färberei in Wuppertal, ein Kulturzentrum für Integration und Inklusion. In dem soziokulturellen Zentrum werden unter anderem Konzerte, Lesungen, Theateraufführungen, Discos, Feste, Podiumsdiskussionen zu sozialpolitischen Themen, Infotage und Vorträge in einem wunderschönen Saal veranstaltet. Der fasst 140 Personen und hat eine Bühne, die mit guter Technik ausgestattet ist. Das gesamte Haus ist barrierefrei – als Altbau nicht nach DIN, aber mit der Plakette des VDK Bergisch Land versehen.

Schon bald bemerkte ich, dass es zwar viele inklusive Veranstaltungen gab, die aber immer ähnlich strukturiert waren:

  1. Entweder gab es Kulturveranstaltungen mit Künstler*innen ohne Behinderung, und einem inklusiven Publikum.
  2. Es gab Veranstaltungen mit behinderten Künstler*innen, zu denen dann ihre Bekannten, Eltern und Freund*innen kommen.
  3. Dritte Möglichkeit waren Veranstaltungen über das Thema Inklusion. Diese wurden von Fachleuten und Betroffenen besucht.

Inklusion findet durch KulturTandem auf der Bühne statt

Aus diesen Beobachtungen entstand die Idee zu einem „KulturTandem“: Künstler*innen mit und ohne Behinderungen bilden an einem Abend ein Tandem. Inklusion sollte auch auf der Bühne stattfinden.

Als wir dann 2016 das Kompetenzzentrum Selbstbestimmt Leben Düsseldorf als eine Tochter-gGmbH eröffneten, war die Zeit gekommen, diese Idee in die Wirklichkeit umzusetzen. Bewusstseinsbildung mit Hilfe von Kultur zu machen, denn Kultur ist im Grunde nach doch bewusstseinsbildend, finden Sie nicht auch?
Als Geschäftsführerin und Leiterin des KSL Düsseldorf konnte ich meine Erfahrungen mit Kulturarbeit einbringen. So setzte ich mit meinem Team vom KSL diese Idee in die Wirklichkeit um, Künstler*innen mit und ohne Behinderung auftreten zu lassen – jedes Jahr in einer anderen Stadt im Regierungsbezirk Düsseldorf. Daraus ist nun ein kleines Kulturfestival geworden, das seit 2016  in Wuppertal, Düsseldorf, Krefeld, im Kreis Mettmann und an der Ruhr stattgefunden hat. Das KSL Düsseldorf ist der Veranstalter.

Durch Kooperationen mit lokalen Künstler*innen erhofften wir uns auch, Publikum zu bekommen, das divers ist: Nicht nur Menschen, die aus beruflichen oder persönlichen Gründen eine Beziehung zum Thema Inklusion haben. Wir wollten Menschen ansprechen, die klassische Musik lieben und deshalb Hannah Schlubeck hören wollen, oder Comedy – und deshalb zu Tan Caglar oder Tobi Käpp erleben möchten oder die rasante Band „Rock am Ring“ aus Krefeld, deren Musik einen vom Hocker reißt.

Das ist uns teilweise gelungen – natürlich jetzt auch massiv gestört durch die Coronakrise – jedoch ist ein breites Publikum eher langsam bereit, sich solch‘ einem Format zuzuwenden. Wenn das Thema Inklusion gar nicht angesprochen wird und sozusagen im trojanischen Pferd eines Konzerts ankommt, wird das akzeptiert, dann spielt nur der Ruf des Künstlers oder der Künstlerin eine Rolle. Werben wir mit dem Thema inklusiver Veranstaltungen, so scheint das kulturaffine Menschen eher abzuschrecken.
Wir bleiben jedoch an dem Thema dran und werden weiter sensibilisieren für Kunst, die so vielfältig ist wie die Menschen, die sie machen.

Wie ich selbst zu diesem Thema gekommen bin?

Ich habe in meiner Ursprungsfamilie mit dem Thema Behinderung kaum zu tun gehabt. Es war eigentlich auch nie ein Thema. Wohl waren zwei meiner engen Spielkamerad*innen in meiner Kindheit stark behindert, aber wir spielten das, was möglich war, suchten für Schwierigkeiten Lösungen und passten unsere Spielwelt den Freunden an: Christian-Oliver saß im Rollstuhl und er war eben immer der Chef und wir sein Fußvolk, weil wir laufen und weggehen konnten, wenn wir Büro oder Kaufmannladen spielten… In der Phase „Wir spielen Büro“ brachte er uns Schreibmaschine schreiben bei und sortierte Akten, während wir den Schreibtisch aus Kisten bauten und Ordner vom Sperrmüll holten.

Erst als ich selbst Kinder bekam und mich gemeinsam in einem Kreis von Müttern um die Gründung einer Kindertagesstätte kümmerte – es war die erste integrative Kita in Wuppertal – kam dieses Thema in mein Leben und ich habe mich „betroffen gemacht“.
Diesen Begriff habe ich geprägt, weil ich jetzt seit Jahren eng mit Menschen aus der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung zusammenarbeite, aber selbst ja nicht betroffen bin.
Ich habe mich betroffen gemacht – und aber es gibt in diesem Prozess der Inklusion  immer wieder vieles, was mich tief betroffen macht…

Was mich betroffen macht?

Es ist jedoch so: Betroffen bin ich von der Trägheit unserer Gesellschaft, in der es immer noch nicht selbstverständlich ist, dass Menschenrechte für jeden umgesetzt werden. Ich bin betroffen von der Tatsache, dass Selbstverständlichkeiten an einer verknöcherten Bürokratie scheitern und Menschen deshalb um fundamentale Rechte gebracht werden. Dazu zählt beispielsweise der Zugang zu Orten, die ihnen wichtig sind oder wo sie eigentlich hinmüssen: also zu Arztpraxen, Apotheken, Krankenhäusern oder Bahnhöfen. Die Liste ist endlos.

Es gibt Ideen für (fast) alles, Geld gibt es im Prinzip auch – es ist die Trägheit der Herzen, die dazu führt, dass der Prozess der Inklusion so langsam geht.

Betroffen bin ich manchmal von mir selbst, wenn ich bestimmte Barrieren im Alltag, die für andere im übertragenen Sinne meilenhoch sind, nicht wahrnehme und so zu Ausgrenzung beitrage.

Betroffen bin ich, wenn ich die Kraft, das Durchhaltevermögen und oft auch den Humor meiner behinderten Freund*innen, Bekannten und Kolleg*innen erlebe, mit der sie immer wieder Barrieren nehmen, auf sie aufmerksam machen, und um ihre Rechte kämpfen.
Das unterstütze ich, immer wieder, mit allen meinen Möglichkeiten.


 

Weitere Informationen

Das KulturTandem hat sogar während der Corona-Pandemie Kulturinteressierte erreicht, und zwar via Videokonferenzschaltung. Falls Sie oben noch nicht auf den Beitrag geklickt haben, können Sie hier noch einmal die Aufzeichnung des KulturTandems im Jahr 2021 genießen - im Prinzip hat die digitale Version in jenem Jahr jenen Künstler*innen ermöglicht aufzutreten, die 2020 pandemiebedingt nicht auf der Bühne stehen durften. Und die Menschen daheim konnten ein Stück Kultur daheim an den Bildschirmen genießen.

 


März 2022