#39: Mechthild Kreuser und Frank Kaulen thematisieren Barrierefreiheit auf dem Arbeitsmarkt | KSL.NRW Direkt zum Inhalt

#39: Mechthild Kreuser und Frank Kaulen thematisieren Barrierefreiheit auf dem Arbeitsmarkt

Portraitfotos von Frank Kaulen, ein lächelnder Mann mit Glatze, Brille und grauem Pullover, sowie ein Portraitfoto von Mechthild Kreuser, eine junge lächelnde Frau mit braunem schulterlangem Haar und dunklem Pullover, eingerahmt in Stilelemente der KSL.NRW (Blaue und gelbe Kacheln); neben den Bildelelementen steht Fensterblick Extern
 
 

#38

Fensterblick Extern

„Ähnlich wie lange Zeit Frauen, müssen auch Menschen mit Behinderungen noch mit Vorurteilen kämpfen, die nicht der Realität entsprechen. Oft sind es dabei nur Kleinigkeiten, die Arbeitgeber*innen ändern müssen, um den jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden.“

mit Mechthild Kreuser und Frank Kaulen | Interview von Wibke Roth | KSL hinterfragt


blaue Facette

Wibke Roth: Ich habe erfahren und gelesen, dass Inklupreneur schon Brücken zwischen Unternehmen und Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen geschlagen und Unsicherheiten auf Arbeitgeber*innen- bzw. Arbeitnehmer*innen-Seite abgebaut hat und Inklusion als strategisches Ziel in Unternehmen implementieren will. Frau Kreuser, wo existieren bereits wichtige strategische und direkte Brücken in NRW – gern auch deutschlandweit? Wie viele Menschen mit Behinderungen konnten Sie schon über Ihre Initiative in den ersten Arbeitsmarkt bringen? 

Mechthild Kreuser: Mit Inklupreneur Rheinland unterstützen wir seit 2024 Unternehmen im Rheinland dabei, mehr Menschen mit Behinderung einzustellen und eine inklusive Unternehmenskultur zu schaffen. Dieses Projekt wird über drei Jahre vom LVR-Inklusionsamt gefördert. Wir konnten bereits einige Unternehmen in dieser Region unterstützen, wie den Verbrauchermarkt Marktkauf der EDEKA Rhein-Ruhr Stiftung & Co. KG, den Apotheken-Versandhandel Redcare Pharmacy N.V. oder den Taschen-Hersteller FOND OF GmbH. Ebenfalls seit vergangenem Jahr gibt es in Ostwestfalen-Lippe eine Kooperation mit proWerk Bethel, die zum Ziel hat, Menschen aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu vermitteln.

In den Bundesländern Berlin und Bremen liegt der Ursprung von Inklupreneur und somit gibt es hier auch einige Unternehmen, die wir in den vergangenen Jahren begleiten konnten, wie share GmbH aus Berlin oder NORDSEE GmbH aus Bremerhaven. Unternehmen, die an unserem Programm teilnehmen wollen, unterschreiben den Inklupreneur Pledge. So schließen sie sich unserer Mission an und versprechen selbstverpflichtend, wie viele Stellen für Menschen mit Behinderung sie in ihrem Unternehmen schaffen wollen. Auf dem Weg zu ihrem Ziel nehmen wir sie an die Hand und begleiten die Umsetzung. Deutschlandweit haben wir rund 700 zugesagte und rund 140 besetzte Stellen. 

Was macht Inklupreneur in Ihren Worten aus? 

Inklupreneur unterstützt Unternehmen durch Wissensvermittlung und aktive Umsetzung dabei, eine inklusive Unternehmenskultur zu schaffen. Menschen mit Behinderung sind zentraler Bestandteil unserer partizipativen Inklusionsberatung. Wir nehmen die Unternehmen prozessual „an die Hand“ und unterstützen aktiv bei der Stellenbesetzung. 

In diesem Artikel aus der Frankfurter Rundschau wird der Inklupreneur-Ansatz beschrieben und eines unserer Formate, die Disability Awareness Workshops, vorgestellt.

Team Inklupreneur Rheinland: Frank Kaulen, Mechthild Kreuser, Sabrina Knoblich und Mareike Eissing (v.l.)

Ablauf bei der Zusammenarbeit mit Inklupreneur:

Ein Unternehmen, dass sich auf dem Weg zu einem inklusiven Unternehmen machen möchte, kann den Inklupreneur Pledge ausfüllen. Danach wird abgestimmt, in welchem Rahmen die Umsetzung mit Inklupreneur stattfinden kann. Über 6 bis 9 Monate wird das Unternehmen dann von den Inklupreneur Coaches, Mentor*innen und Talent-Manger*innen begleitet, um nachhaltig eine inklusive Unternehmenskultur aufzubauen.
Menschen mit Behinderung, die auf der Suche nach einer Stelle in einem Unternehmen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind, können sich in den Inklupreneur-Talentpool eintragen oder auf dem Inklupreneur Job-Portal nach passenden Stellen schauen. 


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Wibke Roth: Laut Inklusionsbarometer Arbeit 2024, herausgegeben von der Aktion Mensch e.V., hat sich die Inklusionslage am allgemeinen Arbeitsmarkt im Vergleich zum vorangegangenen Bericht verschlechtert. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen ist gestiegen und lag mit durchschnittlich elf Prozent fast doppelt so hoch wie die von Menschen ohne Behinderungen. Das ist – leider – nichts Neues, und zwar trotz Fachkräftemangel und generellem Arbeitskräfte-Bedarf. Wo liegt Ihrer Meinung nach das Problem? 

Mechthild Kreuser: Hier finde ich den von Raul Krauthausen geprägten Begriff „Schwarzes Loch“ passend. Er beschreibt damit die Situation, dass Unternehmen oft behaupten, keine Bewerbungen von Menschen mit Behinderung zu erhalten, während gleichzeitig viele Menschen mit Behinderung berichten, trotz zahlreicher Bewerbungen keine Einladungen zu Vorstellungsgesprächen zu bekommen. Wir bauen mit Inklupreneur eine Brücke  zwischen diesem „Schwarzen Loch", um das fehlende Bindeglied zwischen suchenden Unternehmen und potenziellen Bewerber*innen mit Behinderung zu schließen. 


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Wibke Roth: Können Sie beide einmal Faktoren nennen, die dieses schwarze Loch entstehen lassen?

Mechthild Kreuser: Ein Faktor ist sicher die fehlende oder mangelnde Barrierefreiheit von Stellenausschreibungen. In einer guten barrierefreien Stellenausschreibung kann eine Kontakt-Person angegeben sein, die direkt Fragen von schwerbehinderten Bewerber*innen beantworten kann. Sicher spielen auch Unsicherheiten von Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenseite mit. Arbeitgebende sind unsicher, wie sie mit den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen umgehen sollen und wie die Rechtslage aussieht. Als ich mich, als Mensch mit Behinderung, auf meine erste Stelle nach dem Studium beworben habe, habe ich auch schon viele Absagen von Unternehmen erhalten. Wenn man fünf bis sechs oder noch mehr Absagen erhält, glaubt man natürlich, das liegt an einem selbst und nicht am System. Das führt natürlich zu Frustration.

Frank Kaulen: Bevor ich selbst einen Schwerbehinderungsgrad erhalten und bevor ich bei Inklupreneur als Experte in eigener Sache gearbeitet habe, ist meine Erfahrung als Personaler ohne Behinderung in verschiedenen Unternehmen, dass bei vielen Akteuren die Konnotation von „Mensch mit Behinderung“ oft mit „schwierige*r Mitarbeiter*in“ gesetzt haben, dass sie zum Beispiel besonders empfindlich sind oder besondere Anforderungen haben und von den Rahmenbedingungen her zum Beispiel einen besonderen Kündigungsschutz haben. Die Vertreter*innen der Unternehmen kommen durchaus mit solchen Vorurteilen in unsere Veranstaltungen, wie den Starter-Camps. 


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Wibke Roth: Das Team, das größtenteils aus Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten besteht, arbeitet für sechs bis zwölf Monate intensiv mit der jeweiligen Personalabteilung des Unternehmens, zu dem Sie Brücken gebaut haben, zusammen, um ein inklusiveres Arbeitsumfeld zu schaffen. Sie sind einer der Talentmanager: Könnten Sie einmal wichtige Aspekte auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitgeber oder einer inklusiven Arbeitgeberin nennen und vielleicht ein Beispiel aus einem Recruiting-Gespräch, warum es wichtig ist, dass Expert*innen in eigener Sache dieses Gespräch führen?

Frank Kaulen: Um die Barrieren in den Köpfen zu beseitigen ist es wichtig, dass Arbeitgeber*innen merken, dass es eben Vorurteile und keine Wahrheiten sind. Sitzt man sich gegenüber und spricht miteinander, kann ein Mensch mit seiner gewinnenden Art überzeugen. Ähnlich wie lange Zeit Frauen müssen auch Menschen mit Behinderungen noch mit Vorurteilen kämpfen, die nicht der Realität entsprechen. Oft sind es dabei nur Kleinigkeiten, die Arbeitgeber*innen ändern müssen, um den jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden.

Ein Beispiel ist ein Kandidat, der kurz nach seinem Studienabschluss einen privaten Schicksalsschlag und eine schwere Erkrankung verkraften musste und über einen längeren Zeitraum nicht arbeitsfähig war. Durch die Unterstützung von Inklupreneur fand er einen Arbeitgeber, der mit ihm für ein entsprechendes Arbeitssetting sorgte. So konnte er z.B. mit zunächst geringem Tagespensum einsteigen und dadurch Vertrauen in seine Leistungsfähigkeit entwickeln, sein Wissen einbringen und zunehmend sein Potenzial entfalten. Bereits nach wenigen Wochen führte dies zu einer Erhöhung der Arbeitszeit und einer heute routinierten Weiterbeschäftigung über die Probezeit hinaus.
Es hat sich also schon etwas zum Positiven geändert. Ein Vertrauen in die Fähigkeiten einer Person mit Behinderung kann auch dazu führen, dass auch diese Person auf dem Radar ist beim Bewerbungs-Prozess.

Schwierige Worte

Pledge: 
Dieser englische Begriff [pledge = Versprechen/Zusicherung] heißt, dass man etwas zusagt. Wenn von Pledger*innen die Rede ist, sind oft Menschen gemeint, die ein Versprechen oder eine Zusicherung gegeben haben, etwas zu tun. 

Konnotation: 
Dieser Begriff bedeutet, dass ein Begriff eine bestimmte Nebenbedeutung hat. Es handelt sich dabei um die subjektive/persönliche und emotionale/gefühlsmäßige Auslegung des Begriffs.

Starter Camp:
Diese englischen Begriffe [to start = etwas beginnen/starten] [Camp = Zeltlager] bedeuten, dass sich Menschen zu einem offenen Arbeitstreffen versammeln. 
Bei Inklupreneur bedeutet es ein zweitägiges Treffen – ein Workshop, bei dem alle Unternehmen, die an dem Inklupreneur-Programm teilnehmen, zusammenkommen, um die ersten Schritte für ihre eigene Inklusions-Strategie festzulegen.


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Wibke Roth: Eine bedeutende Rolle bei der Arbeit von Inklupreneur spielen die Mentor*innen. Können Sie etwas mehr dazu berichten?

Frank Kaulen: Eine unserer blinden Expert*innen in eigener Sache verdient ihren Lebensunterhalt als erfolgreiche Journalistin. Sie berichtet bei den Workshops aus ihrem Berufsleben und bereichert so die Wahrnehmung der Teilnehmenden. Sie und weitere Personen mit Behinderung unterstützen unsere Coaches als Mentor*innen dabei, den Unternehmen Rückmeldung auf die Stellenausschreibung zu geben und teilen ihre persönlichen Erfahrungen aus dem Arbeitsleben.


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Wibke Roth: Frau Kreuser und Herr Kaulen: Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch.

Beide: Gern. 


Juli 2025

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Kompetenzzentren Selbstbestimmt Leben in NRW

Munscheidstr. 14
45886 Gelsenkirchen

Telefon: 0209-956600-30
E-Mail: info@ksl-nrw.de

Zur Person:

Mechthild Kreuser ist die Projektleiterin von Inklupreneuer Rheinland und die Gründerin von inklusive Achtsamkeit. Sie hat seit ihrer Geburt eine Körperbehinderung und hat durch ihre eigenen beruflichen Erfahrungen gemerkt, dass sie selbst Menschen mit Behinderung dabei unterstützen möchte, in Unternehmen mit einer inklusiven Unternehmenskultur zu arbeiten.

Frank Kaulen hat mehr als 38 Jahre lang als Personaler im Finanzsektor, Mobilfunkbranche und mittelständischen Ingenieurdienstleister gearbeitet. Vor drei Jahren führte die Corona-Infektion zu schweren Erkrankungen und diese in Folge zur Schwerbehinderung. Während seiner Reha-Phase und der beruflichen Neuausrichtung begegnete er Inklupreneur, seit Sommer 2024 rekrutiert er in Teilzeit Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen im Rheinland. Konkret: „Ich vernetze Unternehmen mit Berufsbildungswerken, Rehaträgern und Arbeitsagenturen und vermittle Kandidat*innen aus unserem Talentpool – wir von Inklupreneur verstehen uns als Brückenbauer zwischen allen Akteuren.“


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Stephan Wieners ist Projektleiter des KSL.Detmold. In seinem Kommentar mit Blick zur aktuellen BMAS-Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderung in Werkstätten, argumentiert er, welcher Schritt große Veränderungen auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt mit sich brächte.
Zum Beitrag Nr. 7

Sensible Sprache

Kristin Reker ist Projektmitarbeiterin des Kompetenzzentrums für Menschen mit Sinnesbehinderungen, kurz KSL.MSi NRW. Reker schreibt als Expertin in eigener Sache. Sie ist gelernte Grafikerin. Sie hat zum Protesttag von Menschen mit Behinderungen einen Beitrag verfasst, warum eine diskriminierungsfreie Sprache auf allen Ebenen wichtig ist.
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