Ein Interview, das die Sprecherin des Arbeitskreises Junge Selbsthilfe NRW – Faowzia Möwes – und ihre Ziele vorstellt | KSL.NRW Direkt zum Inhalt

Ein Interview, das die Sprecherin des Arbeitskreises Junge Selbsthilfe NRW – Faowzia Möwes – und ihre Ziele vorstellt

Fensterblick Extern steht auf in dunkelblauen und altrosafarbigen Kacheln in KSL-Desig/Auf einem Foto in der Mitte sind Faowzia Möwes und WIbke Roth zu sehen (v.r.)/Sie halten sich die Ohren hin; das soll symbolisch für einander Zuhören stehen

Fensterblick Extern

„Das Ehrenamt in der Selbsthilfe muss generell mehr Wertschätzung erfahren – zudem muss es leichter mit dem Beruf vereinbar sein. Dies ist auch ein Appell an Arbeitgeber*innen, Arbeitnehmer*innen im Ehrenamt Flexibilität zu geben, die sie brauchen, um solch ein Amt verantwortungsbewusst ausüben zu können.“

von Faowzia Möwes und Ko-KSL / Interview / KSL vernetzt

Ergänzend zu diesem Interview, das die Sprecherin des Arbeitskreises Junge Selbsthilfe NRW – Faowzia Möwes – und ihre Ziele vorstellt, beginnen wir mit dieser Folge, das Leseangebot um einen Tonkanal zu ergänzen. Unser Ziel ist es, weiter Barrieren abzubauen und mit den Stimmen auch etwas über die Persönlichkeit der Sprechenden zu vermitteln. Beim Klick aufs Bild rechts: Viel Spaß beim Hören!

Fotos von Faowzia Möwes (AK Junge Selbsthilfe) und Wibke Roth (Ko-KSL) in blaue Facetten/Die Fotografierten wenden sich mit ihren Ohren einander zu und halten ihre Hände dazu ans Ohr/Dazwische Sprechablasen/Darunter steht: KSL aufs Ohr - Ein Mitschnitt aus dem Interview
Die Unterhaltung von Faowzia Möwes und Wibke Roth (v.r.) haben wir aufgezeichnet.

Wibke Roth: Faiza, du schriebst in einem Zeitschriftenartikel der Deutschen Tinnitus Liga e. V., Tinnitus-Forum 1-2023, dass junge Menschen mit Behinderungen und nicht unbedingt sichtbaren Erkrankungen vor anderen Herausforderungen stünden als ältere. Was meinst du damit?

Faowzia Möwes: Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft, in der es immer mehr darum geht, besser, hübscher, größer oder schneller zu sein als andere – als die Norm. Dabei müssen wir darüber reden, was denn überhaupt die Norm ist und wer das entscheidet.
Zudem ist die Balance zwischen Gesundheit und Krankheit in unserer Gesellschaft gestört. Hinzukommt, dass junge Menschen mit Behinderungen, Erkrankungen und anderen sozialen Herausforderungen noch häufiger Diskriminierung und Benachteiligung erfahren als ältere, wodurch eine gleichberechtigte Teilhabe zusätzlich erschwert wird. In dieser Lebensphase – zwischen dem 18. und 35. Lebensjahr – spielen Identitätsfindung, Lebensplanung, Freundschaft, Ausbildung und Berufseinstieg sowie die Ablösung von der Herkunftsfamilie eine Rolle – auch die Gestaltung von Freizeitaktivitäten nimmt viel Raum ein.


Wibke Roth: Zudem sind immer weniger Menschen bereit, sich ehrenamtlich zu engagieren – eine zentrale Säule der Selbsthilfe. In NRW liegt die Quote des freiwilligen Engagements laut Länderbericht zum Deutschen Freiwilligensurvey bei 36,3 Prozent, also unter dem Bundesdurchschnitt mit 40 Prozent. Laut Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. hätten sich die Erwartungen und Ansprüche an die Selbsthilfe in Richtung „Konsumhaltung“ der Betroffen verschoben. Ihr – als AK Junge Selbsthilfe – wollt laut deiner Aussage im erwähnten Tinnitus-Forum-Beitrag „weg vom verstaubten Stuhlkreis-Image“. Wie begegnet ihr den anderen Bedürfnissen von jungen Menschen mit Benachteiligung und wie macht ihr die Selbsthilfe für sie zugänglicher?

Faowzia Möwes: Aus einer Idee für junge Menschen und von jungen Menschen eine passende Plattform zu finden, hat sich der AK Junge Selbsthilfe NRW im April 2019 in Kooperation mit KOSKON NRW(link is external) zur Koordination für die Selbsthilfe-Unterstützung gegründet, um Barrieren für junge Menschen mit Beeinträchtigungen und chronischen Erkrankungen zu beseitigen, deren Gleichberechtigung zu fördern und der Jungen Selbsthilfe ein neues Image zu verleihen. Es sollte keinem peinlich sein, oder sich uncool anfühlen, ein Selbsthilfe-Angebot anzunehmen. Es sollte einfach zum normalen Lebensalltag dazugehören, zu seiner Selbsthilfe-Gruppe zu gehen, in etwa so, wie einige auch regelmäßig zum Sport oder ins Fitnessstudio gehen. Dahingehend müssen sich die Selbsthilfestrukturen verändern, dass sie für junge Menschen nicht abschreckend wirken, sondern einladend.


Wibke Roth: Weißt du noch, ob du dich damals eingeladen gefühlt hast, als du selbst eine Selbsthilfe-Gruppe aufgesucht hast? Also noch bevor du vor rund sechs Jahren mit der Selbsthilfe-Arbeit für junge Mystheniker*innen – den Myastehnie Helden – begonnen hast?

Faowzia Möwes: Als ich damals mit 22 Jahren meine lebensverändernde Diagnose erhielt, war ich damit allein und wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich suchte mir aufgrund der Seltenheit meiner Erkrankung, Menschen die damit Erfahrungen haben, die mich über die Auswirkungen aufklären konnten. Ich fand erst nach einigen Monaten eine Selbsthilfe-Gruppe, die sich einmal im Monat samstags zum Austauschen trifft. Ich kann mich ganz genau an das erste Mal erinnern. Ich stand zögernd vor der Senioren-Residenz in Köln. Schockiert kam mir der erste Gedanke: Ist das jetzt meine Zukunft, kann ich mir überhaupt irgendwann ein Luxus-Seniorenheim leisten? Dennoch ging ich hinein. Der zweite Schock ließ nicht lange auf sich warten: Um einen Tisch herum saßen zehn Ü60-Jährige, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Zum Umkehren war es für mich an dieser Stelle zu spät. Ich begrüßte sie und setzte mich mit Unwohlsein dazu. Alle stellten sich und ihre Leiden vor. Als mir ein 70-jähriger Rentner erzählte, dass er aufgrund der Muskelschwäche seiner geliebten Gartenarbeit in seinem Haus nicht mehr nachkommen kann, schweiften meine Gedanken ab: Ob ich wohl jemals ein Haus haben werde? Mal davon abgesehen, ob ich mit meiner Erkrankung überhaupt jemals arbeiten, geschweige denn eine Rente erhalten werde?


Video-Statement von Faowzia Möwes

Wibke Roth: Du hast dich also nicht verstanden und nicht abgeholt gefühlt, richtig?

Faowzia Möwes: Diese Themen haben ihre Daseinsberechtigung und auch der Mehrgenerationsaustausch ist absolut wichtig, aber kurz nach einer Diagnosestellung ist es nicht das, was für mich als junger Mensch wichtig war. Wir junge Menschen haben andere Themen und müssen woanders abgeholt werden. Wir stehen vor ganz anderen Herausforderungen.


Wibke Roth: Was hast du dir als Sprecherin und Gründungsmitglied des Arbeitskreises Junge Selbsthilfe Nordrhein-Westfalen vorgenommen?

Faowzia Möwes:

  1. Die Junge Selbsthilfe soll strukturell in ganz Deutschland vertreten sein, so dass Hindernisse zwischen den Selbsthilfe-Strukturen überwinden werden können.(link is external) Das treibt besonders Oliver Stöber – vertretungsberechtigter Vorstand der Jungen Selbsthilfe Deutschland und Gründer des AK Junge Selbsthilfe Aachen – voran. Wir hoffen, dass sich der Bundesverband „Junge Selbsthilfe Deutschland“ im laufenden Jahr final gründen kann. Er ist bereits im Vereinsregister eingetragen.
  2. Das Ehrenamt in der Selbsthilfe muss generell mehr Wertschätzung erfahren – zudem muss es leichter mit dem Beruf vereinbar sein. Dies ist auch ein Appell an Arbeitgeber*innen, Arbeitnehmer*innen im Ehrenamt Flexibilität zu geben, die sie brauchen, um solch ein Amt verantwortungsbewusst ausüben zu können. Im Falle der Selbsthilfe ist es ja sogar so, dass sie eine wichtige Säule des Systems ist – ehrenamtlich getragen. Das heißt, dass für Menschen , die zum Beispiel auf einen Psychotherapie-Platz warten, ein Austausch in der Selbsthilfe-Gruppe mit anderen Betroffenen in der Wartezeit essenziell sein kann. Gegebenenfalls bekommen Betroffene hier zum Beispiel Empfehlungen für eine geeignete Tagesklinik.
  3. Wir möchten junge Menschen dafür begeistern, bei der Selbsthilfe, mitzumachen, ob auf Social Media – wie es viele andere Inkluncer*innen bereits tun – bei Picknicks im Park oder bei Koch-Events – eben da, wo sich ihr Leben abspielt, also auch in Schulen sowie Aus- und Weiterbildungsstätten. Wir möchten das Bewusstsein der jungen Menschen verändern, was es heute für Selbsthilfe-Angebote gibt.

Wibke Roth: Du bist seit März 2023 nun als Referentin bei der LAG SELBSTHILFE NRW angestellt, um ein Projekt zur Aufklärung und Entstigmatisierung an Schulen und Bildungseinrichtungen in NRW voranzutreiben. Was ist das genau?

Faowzia Möwes: Es heißt „Selbsthilfe trifft junge Leute!“ Die Idee zum Projekt ist aus einer gemeinsamen Veranstaltung mit der LAG SELBSTHILFE NRW zum Thema „Junge Selbsthilfe und Nachwuchsgewinnung“ in der Selbsthilfe entstanden und wird von den Krankenkassen und Verbänden in NRW finanziert. Jugendliche und junge Erwachsene kommen niedrigschwellig mit jungen Menschen mit Benachteiligungen und/oder chronischen Erkrankungen in Kontakt, die in der Jungen Selbsthilfe aktiv sind, an einem Ort, an dem ohnehin ein großer Teil ihres Alltags stattfindet, durch Projekttage in Bildungseinrichtungen.


Wibke Roth: Wo können sich Interessierte melden oder Informationen erhalten?

Faowzia Möwes: Auf der Projektwebseite. Die befindet sich noch im Aufbau.


Wibke Roth: Herzlichen Dank für das Interview, Faiza.

Faowzia Möwes: Auch ich bedanke mich, dass ich die Chance hatte, die Junge Selbsthilfe vorzustellen und hoffe, bei einigen das Interesse geweckt zu haben. Oft denken wir, wir sind mit unserer Situation alleine, aber wir in der Jungen Selbsthilfe zeigen, DU bist nicht allein und herzlich willkommen bei uns. Wir freuen uns darauf, von dir zu hören.


Wer ist Faowzia Möwes?

Faowzia (Rufname: Faiza) Möwes, geboren in Algerien, 15 Jahre wohnhaft in Kassel und seit 14 Jahren Jeckin in Köln als Mum und Selbst-betroffene. Sprecherin und Gründungsmitglied des Arbeitskreises Junge Selbsthilfe Nordrhein-Westfalen – auch Gründerin der Myasthenie Helden, eine Community für junge Mystheniker*innen Deutschlandweit.

Werdegang (Auszug):

Seit März 2023: Referentin LAG SELBSTHILFE NRW

Junior Human Ressources Managerin (3/2022-9/2022)

Mitarbeiterin Personal

(2/2021-12/2021)

6/2018-5/2021: Sachbearbeiterin Unternehmensentwicklung und Kommunikation

9/2015 – 6/2018: Fachhochschulreife

9/2015 – 6/2018: Berufsausbildung Kauffrau für Büromanagement

Ehrenamt:

Seit 1/2016

Ansprechpartnerin für die Region Köln-Bonn bei der Deutschen Myasthenie Gesellschaft e.V.

02/2017 Gründerin der Myasthenie-Helden

04/2019 Gründen des AK Junge Selbsthilfe NRW

▪ Beratung von Mitgliedern und Ärzten

▪ Betreuung der Mitglieder und Angehörigen

▪ Projektmanagement

▪ Veranstaltungsmanagement

▪ Regelmäßige Selbsthilfetreffen (Präsenz & Zoom)

▪ Fortbildung in rechtlichen und

sozialen Themen

Interessen:

Backen, Reisen, Fitness, Upcycling

Wie erreichst du die Junge Selbsthilfe?

E-Mail: akjungeselbsthilfe@gmx.net

Instagram: jungeselbsthilfenrw

Blog: Im Blog LEBENSMUTIG(link is external) können Interessierte über ihre Erfahrungen in Selbsthilfegruppen, ihren Herausforderungen im Leben und ihre ganz persönliche Sicht auf Themen wie Anderssein, Gemeinschaft und Inklusion schreiben.

Wie erreichst du die Myasthenie-Gesellschaft?

Betroffene mit Myasthenie – eine Muskelschwäche-Erkrankung – können Faiza Möwes per E-Mail unter faowzia.moewes@dmg.online(link sends email) erreichen; weitere Informationen gibt es auch auf der Homepage dmg.online

Wie erreichst du das Projekt „Selbsthilfe trifft junge Leute?“

Auf der Projektwebseite oder mobil unter der dienstlichen Handynummer: 0176-40539101


April 2023