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Stellungnahme der KSL zur Frage der Bestimmung der Träger der Eingliederungshilfe für NRW

27.07.2017
Symbolhaftes Bild eines Buches

Durch die Neuregelungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) obliegt es gemäß § 94 SGB IX (BTHG) den Ländern, den oder die Träger der Eingliederungshilfe für das jeweilige Bundesland zu bestimmen. Auch in Nordrhein-Westfalen wird derzeit über diese Frage diskutiert.

Die KSL nehmen diese Diskussion zum Anlass, um ein eigenes Votum zur Bestimmung der Trägerschaft und zur Verteilung der Zuständigkeit für die Eingliederungshilfe abzugeben. Dabei nehmen die KSL Bezug auf die Tagesordnung der Anhörung im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales (MAIS) vom 23. Mai 2017.

Nach eingehender Diskussion und Erörterung sprechen sich die KSL dafür aus, die Kreise und kreisfreien Städte als örtliche Träger sowie die beiden Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe als überörtliche Träger der Eingliederungshilfe zu bestimmen.

Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass auch diese Bestimmung nicht ohne Nachteile ist. Zum einen wäre es im Zuge der umfassenden Neuregelung der Eingliederungshilfe ein geeigneter Zeitpunkt gewesen, um die materielle Eingliederungshilfe auch hinsichtlich der Zuständigkeit völlig neu zu verorten. Denkbar wäre hierbei eine Zuständigkeitsbestimmung zugunsten der Integrationsämter gewesen, weil diese im Gegensatz zur klassischen Sozialhilfe vorrangig dem Gedanken eines Nachteilsausgleichs und weniger dem Gedanken der Fürsorge folgen. Damit wäre nicht nur der Forderung von Menschen mit Behinderung, Leistungen der Eingliederungshilfe auch formal aus der Sozialhilfe zu befreien, Vorschub geleistet worden, vielmehr wäre auch die Übertragung der Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX als propagierte Herauslösung aus der Sozialhilfe durch entsprechende formale Zuständigkeitsregelungen untermauert und unterstützt worden.

Andererseits ist das Zeitfenster für die Neuorganisation der Zuständigkeit sehr knapp bemessen. Die Integrationsämter sind momentan insbesondere hinsichtlich der vorhandenen sachlichen und personellen Ressourcen nicht in der Lage, auch noch die Aufgabe der Eingliederungshilfe zu übernehmen. Es müssten zunächst umfangreiche personelle Neustrukturierungen erfolgen. Zudem müssten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter intensiv in die Materie der Eingliederungshilfe eingearbeitet werden. Es steht zu befürchten, dass ein derart umfangreiches strukturelles Aufbauprogramm für die Integrationsämter nicht innerhalb des bestehenden Zeitfensters zu bewältigen wäre.

Demgegenüber verfügen die vorgesehenen Träger der Eingliederungshilfe bereits aus der Vergangenheit über langjährige Erfahrungen im Umgang mit dieser Materie, sodass insoweit eine Zuweisung der Zuständigkeit zielführend erscheint. Allerdings darf es hierbei kein „Weiter so“ nach althergebrachter Denkweise der Sozialhilfe und Fürsorge einschließlich des damit verbundenen Machtgefälles zwischen Behörde und Leistungsberechtigten geben. Vielmehr ist auch auf Seiten der Träger der Eingliederungshilfe ein Prozess des Umdenkens in Gang zu bringen, der sich nachdrücklich den Zielen und Leitgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und damit der Forderung nach einer vollen und wirksamen Teilhabe gleichberechtigt mit anderen verpflichtet sieht.

Als Ergebnis favorisieren die KSL die Variante c) der Tagesordnung und sprechen sich somit für eine umfassende Zuständigkeit der überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe für die Fachleistungen bei gleichzeitiger Zuständigkeit der örtlichen Träger für die Leistungen zur Existenzsicherung aus. Dabei erstreckt sich die Zuständigkeit der überörtlichen Träger auf sämtliche Leistungen der Eingliederungshilfe. Eine Delegation auf die örtliche Ebene ist auszuschließen.

Die KSL möchten an dieser Stelle anregen, die grundsätzlich umfassende Zuständigkeit der überörtlichen Ebene für Sachleistungen dahingehend einzuschränken, dass für minderjährige Menschen mit Behinderung die örtliche Ebene, d. h. die Kreise und kreisfreien Städte, zuständig sein sollen. Damit bestünde die Möglichkeit einer Orientierung an der örtlichen Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit einer seelischen Behinderung gemäß § 35a SGB VIII. Damit wäre die örtliche Ebene für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung zuständig. Dies beträfe sowohl das Instrument der Eingliederungshilfe nach Jugendhilfe als auch die Eingliederungshilfe nach SGB XII und später nach SGB IX. Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen einer seelischen und einer körperlichen bzw. kognitiven Beeinträchtigung könnten nicht mehr zu einem Verschiebebahnhof zwischen der örtlichen oder überörtlichen Ebene führen, sondern verblieben auf der örtlichen Ebene. Damit wäre die Gefahr zeitlicher Verzögerungen hinsichtlich des Leistungsbeginns verringert. Hinzu kommt, dass sich das Leben von Kindern und Jugendlichen unabhängig vom Umstand einer Behinderung vorrangig in der Herkunftsfamilie und damit auch vorrangig auf örtlicher Ebene abspielt.

Diese Unterteilung der Zuständigkeit nach Minderjährigkeit und Volljährigkeit könnte sinnvollerweise eingeschränkt werden für die Fälle, in denen kontinuierliche Leistungen der Eingliederungshilfe kurz nach Erreichen der Volljährigkeit enden oder kurz vor Erreichen der Volljährigkeit beginnen. Ein Beispiel hierfür wäre die Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Hier erscheint es zielführend, eine Zuständigkeit der örtlichen Ebene fortbestehen zu lassen, bis die schulische Maßnahme beendet ist. Damit soll verhindert werden, dass im letzten Schuljahr oder Schulhalbjahr ein Zuständigkeitswechsel eintritt und neue Leistungsanträge gestellt und durchgesetzt werden müssen. Umgekehrt könnte eine Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für Eingliederungshilfe zum Besuch der Hochschule bereits vor Eintritt der Volljährigkeit einsetzen, wenn ein junger Mensch mit Behinderung etwa nach dem G8-Abitur vor Vollendung des 18. Lebensjahres ein Studium aufnimmt. Damit könnte verhindert werden, dass bereits nach einem Semester ein Zuständigkeitswechsel eintritt und sämtliche Anträge neu gestellt und durchgesetzt werden müssten.

Die Trennung von Sachleistungen und Leistungen zur Existenzsicherung gehört zu den wesentlichen „Errungenschaften“ des Bundesteilhabegesetz (BTHG) und scheint somit politisch gewollt und favorisiert zu sein. Diese Trennung soll die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Wohnsettings erleichtern. Eine Verweisung der Zuständigkeit für existenzsichernde Leistungen auf die örtliche Ebene entspricht dem Gedanken einer inklusiven Gesellschaft, denn auch für Menschen ohne Behinderung besteht eine Zuständigkeit für Leistungen zur Sicherung der Existenz auf der örtlichen Ebene. Darüber hinaus würde die Bearbeitung von Anträgen von Bedarfsgemeinschaften hinsichtlich existenzsichernder Leistungen vereinfacht.

Eine umfassende Zuständigkeit des überörtlichen Trägers für sämtliche Fachleistungen der Eingliederungshilfe ist notwendig, da insoweit eine Abgrenzung zwischen unterschiedlichen Leistungsarten der Eingliederungshilfe in der Praxis kaum möglich ist. Das derzeitige Ausführungsgesetz SGB XII NRW verteilt die sachliche Zuständigkeit der Fachleistungen auf die örtliche und die überörtliche Ebene. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass durch unterschiedliche Zielsetzungen und Seite 3Auslegungen es immer wieder zu Konflikten hinsichtlich der Zuständigkeit zwischen der örtlichen oder überörtlichen Ebene kommt, die zulasten der betroffenen Menschen mit Behinderung gehen. Daher empfiehlt es sich dringend, sämtliche Leistungen der Eingliederungshilfe bei einem Leistungsträger zusammenzufassen.

Die Zuweisung der Zuständigkeit für Fachleistungen an die überörtliche Ebene ist dringend notwendig, um dem Ziel einheitlicher Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung auf Landesebene in Nordrhein-Westfalen näherzukommen. Ansonsten bestünde ein „Flickenteppich“ mit einer Vielzahl unterschiedlicher kommunaler Vorgehensweisen bei der Bearbeitung und Bescheidung von Anträgen auf Eingliederungshilfe. Hinzu kommt, dass bei den überörtlichen Trägern eine nicht unerhebliche fachliche Kompetenz bezüglich der Eingliederungshilfe vorhanden ist.

Schließlich halten es die KSL für dringend notwendig, die Eingliederungshilfe als Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung zu organisieren. Diese räumt dem zuständigen Ministerium stärkere Aufsichts- und Eingriffsmöglichkeiten ein, als dies bei einer reinen Rechtsaufsicht der Fall wäre. Dies erstreckt sich auch auf Erwägungen der Zweckmäßigkeit. Die eigenverantwortliche Ausführung durch die bestimmten Träger bleibt grundsätzlich bestehen. Bestehende Satzungsermächtigungen müssen angepasst und gegebenenfalls entzogen werden.

Diese Organisationsform ist nach Auffassung der KSL zwingend erforderlich, um dem Land effektive Interventionsmöglichkeiten gegenüber den Trägern der Eingliederungshilfe zu verschaffen. Dies dient letztendlich auch der Schaffung einheitlicher Lebensbedingungen für Menschen mit Behinderung in Nordrhein-Westfalen. Der bloße Verweis der Leistungsberechtigten auf den Rechtsweg stellt hierzu keine taugliche Alternative dar. Der Rechtsweg mit Widerspruchsverfahren und Klageverfahren nimmt naturgemäß sehr viel Zeit in Anspruch. Dem stehen dringende Bedarfslagen der Menschen mit Behinderung hinsichtlich der beantragten Teilhabeleistungen gegenüber. Abgesehen davon fehlt es beispielsweise bei einer Auseinandersetzung über Weiterleitungen im Sinne der §§ 14, 15 SGB IX für die Betroffenen an einer Klagebefugnis.